LINN LÜHN

MATTHIAS LAHME

Warum leben, warum sterben?

June 14 – July 19, 2008

"Mich interessiert Kunst, deren Rezeption über das Sehen an sich funktioniert, deshalb haben meine Arbeiten keine Titel“, sagt Matthias Lahme. Für die Ausstellung „Warum leben, warum sterben?“ hat der Künstler Arbeiten aus Papier ausgewählt, in denen er sich nicht mit herrschenden Diskursen auseinander setzt. Lahme arbeitet vor allem mit den Eigenschaften, die dem Material innewohnen und diesen Entstehungsprozess und das Spiel zwischen Form und Farbe kann der Betrachter in den Werken verfolgen.

Für eine Werkgruppe, verarbeitet der Künstler Redewendungen und Worte, die ihm im Alltag begegnet sind. Dazu nutzt er zwar „konventionell“ die Fläche des Papiers, aber der eigentliche Sinn entfaltet sich erst durch eine Umkehrung des üblichen Verhältnisses von Schrift und Grund: die weißen Buchstaben sind nicht gemalt, sondern schälen sich erst allmählich aus der schwarzen Tusche heraus, die Lahme um sie herum aufträgt. Die freien Flächen, aus denen sich der Text bildet, müssen sich gegenüber der schwarzen Umgebung behaupten und so wird der existentielle Charakter der Werke sinnlich fassbare Form.

Bei anderen Arbeiten schneidet der Künstler in das Papier und knickt es, so dass anthropomorphe Formen entstehen, die die Rückseite und die Kanten des Papiers sichtbar machen und so die Fläche in den Raum öffnen. Oft nutzt Matthias Lahme auch den kontrollierten Zufall, um Farbe auf der Papierfläche verlaufen zu lassen. Doch erst durch die Technik des Herausschneidens entsteht eine Struktur, in der sich etwas Wesenhaftes bilden kann.

Aus dem leichten und sensiblen Material mit seinen zwei Dimensionen lässt der Künstler auch stabile Plastiken entstehen. Dazu durchfeuchtet er das Papier mit Acrylfarbe und lässt es über einem Kern trocken, so dass sich frei im Raum stehende Formen bilden. Für eine andere Gruppe tränkt Lahme schmale Papierstreifen in Acrylfarbe und formt sie zu verschlungenen Gebilden, die anmutig und schaurig zugleich sind.

Matthias Lahme schafft Arbeiten, die einen kreatürlichen Charakter entwickeln und so Teil einer „urpoetischen Natur“ sind, die bei ihm immer auch als „Poesie der Nacht und der Dämmerung“ (Novalis) zu verstehen ist. Seine Schöpfungen vereinen gegensätzliche Pole: Sie zeigen das Wechselspiel zwischen fest und flüssig, zwischen biegsam und starr. Die Arbeiten bilden sich aus empfindlichen Papierflächen, die geformt, geknickt und geschnitten werden. Sie sind verletzlich und gefährlich, wie die drei kleinen Hände, die sich auf einem Sockel gruppiert haben (Ohne Titel, 2008). In ihren schwarzen Fingern halten sie reale Streichhölzer, doch die Flammen sind aus Papier.

Julia Bulk

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