LINN LÜHN

FLORIAN BAUDREXEL

Kneeling Window

September 3 – October 16, 2010

Besuchte man in diesem Sommer Florian Baudrexel in seinem Atelier, konnte man schon im Innenhof erahnen, was vor sich ging. Da lagen sie, drei riesige Styroporblöcke, so weiß und kantig wie Marmor, in der friedlichen Ruhe des Steins. Neben dem wuchernden Gartengrün der Hofpflanzen wirkten sie wie echt, alt und verwittert, nur darauf wartend, dass ein Künstler die Skulpturen erkennen würde, die sie in ihrem massigen, rohen Inneren verbargen. Schöpfungen, aus einer Form, aus einem Stück entstanden, die darauf hofften, bald befreit zu werden. Leben würde ihnen eingehaucht, und etwas von dem, was wir Seele nennen, würde sich über sie legen wie der warme Hauch deines Atems.

Trat man hinein in den roten Backsteinbau des Ateliers, fand man den Prozess der Entwicklung in vollem Gange. An den zwei einzigen weißen Wänden der riesigen Halle suchten sich die zerborstenen Elemente des Styropors ihren Platz im Gefüge. Alle für sich und alle gemeinsam befanden sie sich in einem abgeschlossenen Raum aus Bezügen und Beziehungen. Entgegen ihrer Abstraktheit trugen sie die Chiffren der Lebendigkeit in sich und ergaben am Ende ein richtiges und unverrückbares Ganzes, so passend und stimmig, das man es schön nennen konnte. Der klotzige Block hatte sich verwandelt. Er war immer noch vollkommen, aber seine Schönheit war nun eine andere. Sie war dem Verständnis der Welt gegenüber entsprungen, aus der Spannung der einzelnen Elemente zueinander, jenseits der ausgewogenen Proportion, der mathematischen Gesetze, des Rhythmus und der Assonanz. Denn wenn man das Schöne außerhalb seiner doch immer existierenden Gesetze des Maßes, der Proportion und der Ordnung betrachtet, unterwirft man es unweigerlich unbestimmten und subjektiven Kriterien. „Wenn hier mein grober Hammer den und den härtesten Stein in Menschenhaftes wandelt, hat er den Schwung von dem, der mit ihm handelt, und muß mit eines andern Schritte gehn.“, schrieb Michelangelo in einer Sonette, die Rainer Maria Rilke Anfang des 20. Jh. ins Deutsche übersetzte.

Kneeling window, Fenster, die knien. Mit umgedrehten Voluten schuf Michelangelo diese Fenster für den Palazzo Medici-Riccardi in Florenz. Auch sie kamen aus einer anderen Welt als der des Realen. Das Formlose, Vage und Unsichtbare entwickelte sich mit Hilfe einer abstrakten Formensprache, die ebenso für Körperlichkeit stehen konnte, in ein Dasein voller Schönheit und Lebendigkeit.

Denn Fenster, die knien, können auch laufen. Oder wie Robert Musil in seinem Mann ohne Eigenschaften schrieb: „Kunst ist Liebe, indem sie liebt, macht sie schön, und es gibt vielleicht auf der ganzen Welt kein anderes Mittel, ein Ding oder Wesen schön zu machen, als es zu lieben.“

Katharina Koppenwallner

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