LINN LÜHN

SEBASTIAN LUDWIG

Kanon

September 7 – October 20, 2012

When Noah learned that the Flood was on its way, he was faced with a colossal task: he had to create a new space to save life on earth. In the seventeenth century, the Jesuit scholar Athanasius Kircher embarked upon a reconstruction of the ark envisioned by Noah. His detailed schematic drawings of the different decks of the vessel are, above all else, an extraordinary and betimes absurd attempt at the planning of functional spaces and the control of diversity. Sebastian Ludwig has adopted Kircher’s spatial concept for his own new works, however, he subjects this historic forerunner to a host of transformational processes: he has built a model of the ark, staged various lighting conditions, taken photographs and made copies the individual levels. In further steps, the artist has dissected the spatial context, isolated individual elements and reconfigured them. The result is a polyphonic composition like a canon in music, in which a melody is shifted temporally and the pitch or direction of reading is modified.
In this way, the spaces themselves move further and further away from the historic context and can be interpreted against the backdrop of the modern discourse surrounding modular architecture and systems of classification. However, for Sebastian Ludwig this contextual analysis is primarily a starting point for the long-standing engagement with the possibilities of painting.

Recently, the artist has been using the smooth surface of coated wooden panels for his paintings and has created illusionary pictorial spaces that experiment with perspective, geometry and pattern in virtuoso fashion. He has returned to the traditional canvas as his pictorial format, thereby linking up to an extent with his earlier works. However, he doesn’t merely use the material itself as a primer, but grants it its own voice as an independent pictorial element. The untreated canvas enjoys thus a dynamic relationship with the structured sections. Ludwig confronts the occasionally multilayered surfaces with architectural elements derived from Kircher’s models. By contrast to early works, the artist is less concerned about the creation of a stage-like space, but rather the viewer is a witness to the continued dislocation of spatial elements. Each work in the exhibition posts its own reply to the question as to how far space can be dissolved without completely renouncing painting’s pledge to three-dimensionality. The new works draw their fascination from the very oscillation between surface and space.

By creating a three-dimensional space but simultaneously calling it into question, the artist effectively subverts Athanasius Kircher’s incipient experiment with the modern domination of space. Sebastian Ludwig’s works function thus rather like polyphony music: the listener hears that there is a canon comprising several contrapuntal voices, however, during the performance, he doesn’t perceive the rigid pattern itself, but experiences a multifaceted and delicate sonic tapestry. Sebastian Ludwig transfers the temporal aspect in the experience of music into the duration of painting: in this way, the complex interplay between surface and structure, time and space can be re-experienced again and again.


Als Noah erfuhr, dass die Sintflut kommen würde, stand er vor einer großen Aufgabe: er musste neuen Raum schaffen, um das Leben auf der Erde zu retten. Der jesuitische Gelehrte Athanasius Kircher hat im 17. Jahrhundert eine Rekonstruktion der von Noah erdachten Arche unternommen. Vor allem seine detaillierten Schemazeichnungen der verschiedenen Schiffsdecks sind ein erstaunlicher und bisweilen auch absurd anmutender Versuch, funktionale Räume zu planen und Vielfalt zu kontrollieren.
Sebastian Ludwig hat das Raumkonzept von Kircher für seine neuen Arbeiten aufgegriffen, unterzieht aber das historische Vorbild zahlreichen Transformationsprozessen: Er baut ein Modell der Arche, inszeniert unterschiedliche Lichtverhältnisse, fotografiert und kopiert die einzelnen Ebenen. In weiteren Arbeitsschritten zerschneidet der Künstler die räumlichen Zusammenhänge, isoliert einzelne Elemente und setzt sie immer wieder neu zusammen. Wie bei einem Kanon in der Musik, bei dem eine Melodie zeitlich versetzt erklingt und bei dem die Tonhöhe oder Leserichtung verändert werden kann, entsteht eine mehrstimmige Komposition.
Auf diese Weise lösen sich die Räume immer mehr vom historischen Kontext und können vor dem Hintergrund heutiger Diskussionen über modulare Architektur und Ordnungssysteme neu gelesen werden. Doch diese inhaltliche Analyse ist für Sebastian Ludwig vor allem der Ausgangpunkt für eine seit Langem geführte Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der Malerei.

In den letzten Jahren hat der Künstler auf der glatten Oberfläche beschichteter Holzplatten gemalt und dabei illusionäre Bildräume geschaffen, die virtuos mit Perspektive, Geometrie und Muster experimentieren.
Mit den neuen Bildern kehrt er zur Leinwand als Bildträger zurück und knüpft so in gewisser Weise an seine frühen Arbeiten an. Er nutzt das Material aber nicht nur als Untergrund, sondern lässt es als eigenständiges Bildelement zu Wort kommen. Die unbearbeitete Leinwand steht dabei in einem spannungsreichen Verhältnis zu strukturierten Partien. Diese bisweilen vielschichtigen Flächen konfrontiert Ludwig mit der von Kircher abgeleiteten Architektur. Im Gegensatz zu den früheren Arbeiten geht es dem Künstler weniger darum, einen bühnenartigen Raum zu entwickeln, vielmehr wird der Betrachter Zeuge, wie die räumlichen Elemente immer weiter aufgebrochen werden. Jede Arbeit in der Ausstellung findet ihre eigene Antwort auf die Frage, wie weit man den Raum auflösen kann, ohne das Versprechen der Malerei auf die drei Dimensionen vollständig aufzugeben. Gerade aus diesem Oszillieren zwischen der Fläche und dem Raum ziehen die neuen Arbeiten ihre Faszination.

Indem der Künstler Raum erzeugt, ihn aber zugleich in Frage stellt, unterläuft er den von Athanasius Kircher begonnenen Versuch der modernen Raumbeherrschung. In dieser Hinsicht funktionieren Sebastian Ludwigs Arbeiten wie polyphone Musik: Der Hörer weiß zwar, dass ein Kanon aus gegenläufig gesetzten Stimmen besteht, doch während der Aufführung nimmt er nicht das strenge Schema wahr, sondern erlebt ein vielschichtiges und fragiles Klanggewebe. Die Zeitlichkeit der Musikerfahrung überträgt Sebastian Ludwig in die Dauer der Malerei:
So können wir das komplexe Zusammenspiel aus Fläche und Struktur, Zeit und Raum immer wieder neu erleben.

Dr. Julia Bulk

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