LINN LÜHN

MARTIN BOYCE | FRITZ LEVEDAG

Between the Days of Now and Then

April 22 – July 15, 2009

Der Ausstellungstitel Between the Days of Now and Then bezieht sich auf die raumgreifende Arbeit des schottischen Künstlers Martin Boyce. Begleitet wird das Mobile von Zeichnungen, die Fritz Levedag in den 1930er und 1940er Jahren schuf. Für diese Ausstellung hat Boyce 15 Zeichnungen ausgewählt: bei einigen Blättern fallen Motive auf, die seit Jahren auch in Boyces Werk eine zentrale Rolle spielen, wie bestimmte Linienformen oder Gitterstrukturen. Doch zwischen den Künstlern gibt es Bezüge, die über diese formalen Parallelen hinausgehen.

Fritz Levedag schuf zahlreiche Zeichnungen, die dem Verhältnis von Form und Fläche nachgehen. Es entstanden Serien, in denen der Künstler das Zusammenspiel verschiedener linearer und flächiger Elemente systematisch analysierte. Gerade im Vergleich zu Boyces Arbeit fällt auf, dass Levedag hier zu Ergebnissen kam, die auch heute noch relevant sind. Diese Studien berühren zugleich eine poetische Ebene: Levedag ging es darum, die verschiedenen Komponenten in ein dynamisches Gleichgewicht zu bringen und ein einheitliches Bildganzes zu schaffen. Für Levedag waren Mensch, Natur und Kosmos eine Einheit, und in seiner Arbeit sah er eine Möglichkeit, die Zersplitterung und Sprachlosigkeit seiner Zeit zu überwinden.

Martin Boyce setzt sich in seinem Werk immer wieder mit den sozialen und kulturellen Verhältnissen der Nachkriegsmoderne auseinander. Mit dem Abstand von über 50 Jahren stellt er die Ideale dieser Zeit erneut zur Diskussion. In Between the Days of Now and Then hat er einen Klassiker des amerikanischen Designs aufgegriffen, den von Harry Bertoia 1955 entworfenen Drahtgitterstuhl. Für das Mobile wurde der Stuhl seiner Beine beraubt, er wurde gedreht, verbogen, verknüpft und zersägt. Notdürftig nur verdeckt eine verwitterte Holzplatte die entstandene Lücke im Drahtgeflecht. Ist das „Projekt der Moderne“ also gescheitert und können wir heute nur noch mit Sehnsucht auf die Fragmente idealer Vorstellungen zurückblicken? Ist die Suche nach der Einheit, die uns in Levedags Werk begegnet, ein vergebliches Unterfangen?

Between the Days of Now and Then thematisiert genau diesen unortbaren Raum zwischen der vergangenen “Moderne” und der utopiekritischen Gegenwart. Obwohl Boyce mit seinen Eingriffen die äußere Form der Objekte aufbricht, schweben die Gitterformen in einer Art Gleichgewicht. Es entsteht eine „fragile Landschaft“ (Boyce) aus leichten, beweglichen Elementen. Fast scheint es so, als wollten sie so in Kontakt treten zu den auf Synthese angelegten Studien Levedags. Boyce dekonstruiert die Entwürfe der Moderne, greift die Substanz ihrer Objekte an und gibt jeglichen Absolutheitsanspruch auf. Und doch es gibt immer wieder Momente in seinem Werk, in denen die Möglichkeit einer geglückten Einheit aufscheint.

Martin Boyce (* 1967) lebt und arbeitet in Glasgow. Auf der 53. Biennale von Venedig wird er Schottland dieses Jahr mit einer Einzelausstellung vertreten.

Fritz Levedag wurde 1899 in Münster geboren und studierte u. a. am Dessauer Bauhaus bei Klee, Kandinsky und Gropius Architektur und bildende Kunst. Er starb 1951 in Wesel.

Julia Bulk

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